Rainer Schätzl (52) - Bergwacht Hauzenberg-Waldkirchen

Beim Schreiben dieser Zeilen denke ich an die Menschen in den Hochwassergebieten in NRW und Rheinland-Pfalz, die Schreckliches erlebt haben, wo Existenzen vernichtet und Menschen ihr Leben verloren haben. Heute Morgen dann die Nachricht, dass der Landkreis BGL Katastrophenalarm ausgelöst hat und sich auch Passau auf ein Hochwasser vorbereitet. Ich denke auch an die eingesetzten Einsatzkräfte, die leider ebenfalls Menschenleben zu beklagen haben.

Warum sind sie bei der Bergwacht?

Ich bin nun 52 Jahre alt und zur Bergwacht kam ich bereits im Alter von 15. Meine Hobbies waren damals schon Skifahren und in den Bergen war ich mit meinen Eltern auch immer unterwegs. Da lag es irgendwie für mich auf der Hand, die eigenen Interessen in den Dienst einer guten Sache zu stellen. Als Bauzinger bot sich dann die Bergwacht Hauzenberg-Waldkirchen an. Aus meiner damaligen Gymnasiumklasse waren wir zu dritt, die mit der Ausbildung starteten. Eine für uns jungen Kameraden außergewöhnliche Erfahrung war, dass drei unserer Gymnasium-Lehrer ebenfalls in der Bergwacht aktiv waren und wir diese Autoritäten auch von einer anderen Seite kennenlernen durften. Während meiner Zeit durfte ich nach meinem Grundwehrdienst im Hochgebirgszug Bad Reichenhall tätig sein als Ausbilder in der Bereitschaft, als Ausbilder und Mitglied der Prüfungskommission der Region Bayerwald, als Vertreter der Region Bayerwald in der Arbeitsgruppe Bodenrettung der Bergwacht Bayern und mittlerweile als stellvertretender Bereitschaftsleiter. Diese Tätigkeiten sind für mich bei weitem mehr als „Opfer von Freizeit“, vielmehr sehe ich dies als großen Teil dessen, was mich als Mensch ausmacht und geprägt hat. Ich durfte in dieser Zeit viel lernen und mich weiterentwickeln, auch heute noch, fachlich wie menschlich.

Was sind ihre interessantesten Momente/Erlebnisse bei der Bergwacht?

Nun, in gut 3 Jahrzehnten gab es natürlich viele Erlebnisse, die einen prägten und die in Erinnerung bleiben. Ich versuche mal ein paar für mich besondere zu beschreiben

Bei einer Totenbergung eines verunfallten Waldarbeiters durften wir zusammen mit den Angehörigen beten, bevor der Bestatter den von uns im unwegsamen Gelände geborgenen Leichnam abtransportierte. Wir alle waren sehr berührt vom tiefen Glauben der gesamten Familie und das Gebet hat auch uns geholfen, das Erlebte zu verarbeiten.

Im Winter machten wir Dienst am Skilift Oberfrauenwald und waren gerade vor der Hütte bei der Ausbildung mit unseren jungen Anwärtern als wir zum Einsatz gerufen wurden: Verletzter Skifahrer im unteren Steilhang. Sofort halfen alle zusammen, um den Einsatz zu starten. Ein sehr erfahrener Kamerad und ich – und unsere Anwärter, die auf Grund der Vorgaben nicht direkt am Patienten eingesetzt werden dürfen, solange sie nicht alle Prüfungen der Bergwacht Bayern abgelegt haben. Wie sich herausstellte war es eine schlimmere Verletzung, die auch einen Notarzt am Unfallort erforderte. Unsere Anwärter machten die Logistik von Material, Notarztzubringung, Vorbereitung der Hilfsmittel usw. während mein Kamerad und ich die Patientenversorgung durchführten. So waren uns unsere Anwärter (damals im Alter um die 16 Jahre) eine sehr große Hilfe. Im abschließenden Debriefing (Besprechung nach dem Einsatz) bekamen sie auch ein großes Lob von uns. Für uns war dies eine äußerst motivierende Bestätigung unserer Ausbildungsarbeit.

Katastrophenschutz-Einsatz im Rahmen der Schneekatastrophe: innerhalb weniger Stunden wurde am Samstag, 12.01.2019, ein Bayerwald-Kontingent für den Einsatz im Chiemgau auf die Beine gestellt. Auch aus unserer Bereitschaft machten sich 5 Kameraden auf den Weg. Das Besondere war: wir wussten gar nicht wohin. Mit dem Rest des Kontingents war lediglich ein Treffpunkt vereinbart – das hat auch funktioniert 😊 Dort bekamen wir dann unseren Zielort genannt: die Schulturnhalle Unterwössen. Nach unserer Verpflegung verbrachten wir die Nacht im Massenquartier mit Einheiten des THW. Am Morgen darauf ging es früh zum Frühstück bei der Feuerwehr in Übersee. Danach erst bekamen wir die Zuteilung unseres Einsatzortes durch den Krisenstab: Schleching. Das Sichern auf den Dächern und Schneeschaufeln war dann wiederum Routine – das kennt der Bauzinger auch. Besonders beeindruckt haben mich bei diesem Einsatz die Masse an zumeist ehrenamtlichen Helfern und Einheiten aus ganz Bayern: Feuerwehr, THW, DLRG, BRK usw. Auch die Bundeswehr war im Einsatz. Darüber hinaus war die Dankbarkeit der Menschen vor Ort spürbar und die haben das auch zum Ausdruck gebracht. Das freut einen dann mächtig und gibt noch einen Extra-Schub Energie.

Meine beiden Söhne Felix und Simon sind ebenfalls bei der Bergwacht. Der Ältere, Simon, ist AEK (Aktive Einsatzkraft), darüber hinaus ausgebildeter Luftretter und Fachausbilder Sommer. Für mich als Vater ist es ein besonderes Gefühl, mit ihm auf Einsatz zu gehen und ich freue mich, wenn das auch mit Felix der Fall ist, der leider auf Grund der Einschränkungen in der Corona-Zeit noch nicht alle Prüfungen ablegen konnte. Wir sind aber nicht die einzige Bergwacht-Familie in unserer Bereitschaft. Ein Kamerad hat ebenfalls dieselbe Begebenheit wie ich (ein Sohn AEK, ein Sohn Anwärter) und aus einer Familie sind sogar drei Generationen vertreten (Opa, Sohn, Enkel).

Aktuell haben wir eine sehr gute Zahl an jungen Nachwuchskräften. Viele davon kommen aus der eigenen Jugendgruppe. Es ist ebenfalls eine sehr schöne Erfahrung zu sehen, mit welchem Engagement die junge Generation ans Werk geht. Die Bergwacht-Ausbildung mit den 7 Prüfungsteilen umfasst einen Zeitraum von 3 Jahren. In diese Zeit fallen bei den Anwärtern, die mit 16 Jahren aus der Jugendgruppe zur Ausbildung wechseln können, natürlich viele wichtige private Schritte: Schulabschluss, Berufs- oder Studienwahl, Arbeits- bzw. Studienbeginn, Führerscheine etc. Wie die meisten das alles organisieren und stemmen ist schon sehr respektabel. Die junge Generation, wie ich sie in den letzten Jahren kennenlernen durfte, will gefördert und gefordert werden, will sich auch einbringen. Auch bei unseren Einsätzen kommt uns selber bzw. dem Patienten die „Generationenspreizung“ in der Bereitschaft zu Gute: ältere Einsatzkräfte mit vielleicht mehr Einsatzerfahrung, gepaart mit den jüngeren, die körperlich viel schneller und leistungsfähiger sind. Vielfalt als Bereicherung, nicht als Bedrohung!

Was bedeutet für Sie das Ehrenamt?

Es gibt ein Zitat von Ewald Balser, das alles aussagt:

Eine Gesellschaft lebt von denjenigen Menschen, die mehr tun als ihre Pflicht.

Ich hatte die Möglichkeit, in unserem Land eine sehr gute schulische Ausbildung inkl. Studium zu machen, berufliche Chancen wahrzunehmen. Dabei bin ich bin etwas in der Welt herumgekommen – und zum Fazit gelangt: bei allen Herausforderungen, die es auch in unserem Land gibt, geht es uns sehr gut. Deshalb stelle ich – so gut und lange ich kann – meine Fähigkeiten zur Verfügung, um ein klein wenig zurückzugeben.

Natürlich haben sich bei der Bergwacht auch viele Freundschaften entwickelt bzw. über Jahre erhalten. Der Spaß bei der Ausbildung kommt ebenfalls nicht zu kurz. Und nicht zuletzt können wir natürlich den Patienten durch unsere Ausbildung und Ausrüstung in vielen Notlagen helfen.

Was könnte ihrer Meinung nach verbessert werden oder was fehlt ihrer Meinung nach?

Die finanziellen Rahmenbedingungen geben einem schon zu denken. Wir bekommen zwar über den Staatshaushalt ein Budget für Materialbeschaffung sowie Zuwendungen für den Unterhalt der Bergrettungswache. Diese Zuwendung deckt aber nicht einmal alle Kosten für Versicherung, Unterhalt der Fahrzeuge etc. Somit sind wir auf finanzielle Unterstützung von privaten Förderern und Spenden von Kommunen angewiesen. Die Folge dieser Situation ist, dass wir mit unserer Privatkleidung zum Einsatz gehen. Eine komplette Einsatzbekleidung können wir uns als Bereitschaft leider nicht leisten. Dabei sind unsere Bergwacht-Anoraks mittlerweile in die Jahre gekommen, wir wissen aber nicht wie wir eine Neuanschaffung stemmen können. Die Corona-Pandemie tat ihr Übriges und so fielen einige Veranstaltungen wie Skimarkt oder Sonnwendfeuer aus, die wir zur Finanzierung in den Vorjahren selber organisierten. Die ständige Sorge um die Finanzseite ist gewissermaßen schon ein Dämpfer in der ehrenamtlichen Arbeit.

Ergänzend kommt hinzu, dass auch das Ehrenamt vor der Bürokratie nicht verschont bleibt, im Gegenteil. Die Entwicklung geht immer mehr in Richtung ausführlichster Dokumentation von Einsätzen, Ausbildungen, persönlichen Daten, Materialüberprüfungen etc. etc. Da fragt man sich schon manchmal, wo die Grenze dessen erreicht ist, was in ehrenamtlicher Arbeit gestemmt werden kann. Wir gehen alle unserer Arbeit, einer Ausbildung oder einem Studium nach und viele von uns haben keine 35h- oder 40h-Woche. Alle Aufgaben auf die Rentner zu schieben wäre ebenfalls unfair, haben die meisten ohnehin bereits 40 Jahre oder gar mehr ihren Dienst getan. Und dazu kommt noch die Ausbildung, die ebenfalls stetig umfangreicher wird und immer höhere Anforderungen an die Ausbilder und Auszubildenden stellt. Mittlerweile ist es gar nicht mehr so einfach in den vielen Bereichen, welche die Bergwacht bietet, am Ball zu bleiben.

Heuer hatten wir bereits einige Vermisstensuchen, zusammen mit anderen Einheiten wie Feuerwehr, Rettungshundestaffel, Wasserwacht, Rettungsdienste etc. Teilweise waren 140 Einsatzkräfte über viele Stunden im Einsatz. In der ein oder anderen schwachen Minute kommt mir dabei folgende Frage in den Sinn: was wäre nun, wenn alle Ehrenamtler nicht da wären? Dann wären oft wohl nur die zwei Polizisten und die Besatzung des Rettungswagens übrig – falls nicht gerade zwei Ehrenamtler Dienst auf dem RTW machen.

Völliges Unverständnis habe ich für Beschimpfungen, Beleidigungen, Behinderungen oder gar Übergriffe auf Einsatzkräfte. Das liegt schlichtweg außerhalb meiner Gedankenwelt, was sich in einem Menschen abspielt, der z.B. die Reifen eines Notarzt-Fahrzeuges zersticht oder einem Feuerwehrler, der den Verkehr regelt über den Fuß fährt. Leider treten derartige Vorkommnisse häufiger auf und die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Aber was passiert, wenn viele sagen würden: Das muss ich mir in meiner Freizeit nicht antun?