Krankenhausreform: Landräte schlagen Alarm

08. März 2023: Pressekonferenz auf Schloss Neuburg zur Krankenhausreform - Landräte sprechen von fatalen Auswirkungen auf den ländlichen Raum - Forderungen an den Bund in "Neuburger Erklärung" zusammengefasst
Pressekonferenz Krankenhausreform

Lkr. Passau/Niederbayern. Bei Umsetzung der vom Bundesgesundheitsministerium  vorgesehenen Krankenhausreform entsteht ein Zweiklassen-System mit klarer Benachteiligung der Menschen im ländlichen Raum gegenüber Ballungsräumen. Das stellen die Landräte der Landkreise Freyung-Grafenau, Deggendorf, Straubing-Bogen und Passau fest, wobei erstmals konkrete Zahlen der zu erwartenden Patienteneinbußen vorgelegt wurden.

Die Situation in den vier Landkreisen steht exemplarisch für die Lage in ländlichen Regionen. Neben den katastrophalen Auswirkungen auf die Krankenhäuser, die mehr als 60 bis 70 Prozent ihrer Patienten verlieren würden, hätte die Reform auch ebenso einschneidende Folgen für die Menschen und den Wirtschaftsstandort: Nach Berechnungen der Kreiskliniken im Landkreis Passau und im Landkreis Straubing-Bogen würde die Reform angesichts des dramatischen Patientenschwunds  mindestens die Hälfte der heimatnahen Arbeitsplätze für das Krankenhauspersonal in Gefahr bringen. Die Ausdünnung der Klinikversorgung hätte zudem unabsehbare Folgen für die Gesundheitsbranche insgesamt und für Zuliefer- und Versorgungsunternehmen.  Am deutlichsten würde die Reform also die Patientinnen und Patienten treffen, die künftig bei einer ganzen Reihe von Krankheitsbildern (siehe Zahlenbeispiele) auf Großkliniken in Passau, Deggendorf, Straubing, Landshut oder Regensburg angewiesen wären und damit lange Anfahrten und lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssten. Unausweichliche Folge, da die großen Kliniken auf Jahre hinaus diesen Ansturm nicht bewältigen können: Priorisierung der Behandlung etwa nach dem Alter der Patientinnen und Patienten. Am Beispiel der Kliniksituation im Landkreis Freyung-Grafenau wurde dabei  auch der Teilaspekt der Geburtshilfe beleuchtet: Über 400 Gebärende müssten bei Wegfall dieser Leistung erheblich weitere Wege auf sich nehmen, wobei aktuell gar nicht absehbar sei, in welchen Krankenhäusern diese Geburten dann stattfinden sollten.

Für Landrat Sebastian Gruber (Freyung-Grafenau), sind diese Aussichten für den ländlichen Raum nicht akzeptabel. Die Ungleichbehandlung zur üppigen Versorgungslage in Ballungszentren führe zu einer Zweiklassen-Medizin und sei ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die hier „bei uns leben, arbeiten, fleißig sind und im übrigen ebenso zur Finanzierung unseres Gesundheitssystems beitragen, wie alle anderen“. Der Passauer Landrat Raimund Kneidinger – sein Landkreis zählt zu den flächengrößten und mit fast 196.000 Einwohnern bevölkerungsreichsten in Bayern – hält die Zeit „für Sorgenfalten und Brandbriefe vorbei, sondern jetzt reden wir Klartext. Noch nie hätte uns eine Reform derart  hart getroffen. Wir müssen sie mit allen Mitteln verhindern“.  Der Deggendorfer Landrat Bernd Sibler erwähnte vor allem die bislang wenig in der Öffentlichkeit thematisierte Gefahr für das Rettungswesen auf dem Land. Weniger Krankenhäuser  oder Häuser mit deutlich eingeschränktem Leistungsspektrum bedeuteten längere Fahrtwege und mehr Fahrten. Gleichzeitig stünden aber aufgrund Klinikschließungen noch weniger Krankenhausärzte als Notärzte zur Verfügung, als dies bisher schon der Fall sei.

Resolutionen für eine sinnvolle Reform und gegen die Überlegungen des Bundes wurden bereits verabschiedet (z.B. im Passauer Kreistag) bzw. sind in weiteren Landkreisen auf dem Weg. Wichtig sei, so Landrat Josef Laumer (Straubing-Bogen),  jetzt die konkreten Auswirkungen auf die Menschen darzustellen. Heimatnahe Gesundheitsversorgung sei ein extrem wichtiger Standortvorteil, das Krankenhaus in der Nähe gehöre zur „Seele des ländlichen Raums. Es schaffe Sicherheit und Vertrauen“.

Video zur Pressekonferenz

Was bedeutet die Reform für...

Einstufung Level 1n bedeutet, dass u.a. keine orthopädisch-unfallchirurgischen (incl. Knie- und Hüftendoprothetik), viszeralchirurgischen Behandlungen, gastroenterologischen, kardiologischen, rheumatologischen Leistungen mehr angeboten werden dürfen.

Also: Eine zeitnahe und wohnortnahe medizinische Versorgung gibt es nur noch für Menschen, die in Ballungsräumen leben. Menschen auf dem Land sind nach dieser Reform nur noch zweitklassig versorgt.

Enorme Leistungseinschränkung, Entzug der Existenzgrundlage. Bundesweit 600 (Land-)Kliniken in akuter Gefahr.

Ärzte und Pflegekräfte müssten häufig umziehen, wenn sie weiter im Beruf arbeiten wollen oder zu Fernpendlern werden. Lebensqualität wird eingeschränkt; Einkommen wird aufgrund höherer Fahrtkosten und Mietkosten eingeschränkt. Attraktivität des Berufs sinkt. Motivation der betroffenen Fachkräfte von geschlossenen Häusern wird entsprechend gering sein. Viele werden Beruf aufgeben und in andere Branchen wechseln.

Gleichzeitig: Extreme Fallzahlerhöhung in den verbleibenden Großkliniken (Level II und III), ohne dass in gleichem Maße mehr Personal zur Verfügung steht. Folge: Anzahl Patient pro Pflegekraft und Arzt wird sich drastisch erhöhen. Arbeitsverdichtung und Mehrbelastung vertreiben weitere Pflegekräfte aus dem Beruf.

Damit erreicht man genau das Gegenteil von dem was man will, nämlich Attraktivität der med. Berufe steigern.

Weniger Krankenhäuser  oder Häuser mit deutlich eingeschränktem Leistungsspektrum bedeuten längere Fahrtwege und mehr Fahrten. Gleichzeitig stehen aber aufgrund Klinikschließungen noch weniger Krankenhausärzte als Notärzte zur Verfügung, als dies bisher schon der Fall ist.

Drohender Kollaps des Rettungsdienst-Systems auf dem Land.

Es wird deutlich weniger vor- und nachgelagerte Versorgung in Reichweite dieser Krankenhäuser geben, es wird eine drastische  Einschränkung von Abverlegungsmöglichkeiten geben.

Gleichzeitig müssen diese Häuser wesentlich höhere Patienten-Zahlen verkraften, ohne dafür räumlich, strukturell und personell ausgelegt zu sein. Konvergenz von 5 Jahren, um dies zu erreichen, wird bei Weitem nicht ausreichend sein. 10 – 15 Jahren sind wohl eher realistisch.

Folge: Massiver Patienten-Stau bei den Maximalversorgern, der nur durch Verschiebung planbarer Eingriffe und Behandlungen kompensiert werden kann. Die aktuelle Krise mit Kapazitätsengpässen wird zur Dauerkrise.

Zudem: Level II/III-Häuser müssen mangels stationärer Alternativen in hohem Maße auch Patienten mit leichten und mittelschweren Krankheitsverläufen behandeln, also Menschen, die keine Spezialversorgungsstrukturen benötigen. Damit entsteht neue Art der „Fehlbelegung“, die für das Gesundheitssystem sehr teuer werden wird, denn die Fallkosten für solche Patienten sind in hochspezialisierten Kliniken erheblich höher als bei den Grundversorgern.

Neuburger Erklärung

Zum Reformvorschlag der Regierungskommission des Bundes zur Krankenhausreform stellen die Landräte von Freyung-Grafenau, Deggendorf, Straubing-Bogen und Passau fest:

  • Eine Krankenhausreform ist grundsätzlich erforderlich. Allerdings muss sich eine bedarfsgerechte und moderne Krankenhausreform an der Versorgung der Patientinnen und Patienten und an den Beschäftigten in den Krankenhäusern orientieren. Eine wirksame Reform müsste  mit erheblichen Investitionen und längeren Zeitplänen hinterlegt werden.
  • Bei Umsetzung der Reform mit den jetzt bekannten Eckpunkten ist die kommunale Pflichtaufgabe der Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen nicht mehr zu erfüllen. Dies gilt strukturell, personell und finanziell. Die im Fall der Reform unvermeidbaren Ausfälle bzw. die Rationierung der Gesundheitsversorgung liegen dann in der Verantwortung des Bundes.
  • Weniger Gesundheitsversorgung auf dem Land bedeutet Gefahr für Leib und Leben von Menschen und Existenznot für Beschäftigte. Das haben die ländlichen Regionen nicht verdient. Menschliche Katastrophen werden unvermeidlich sein. Dafür können und werden die Landkreise keine Verantwortung übernehmen.
     

Die daraus folgenden Forderungen:

  1. Die von Bundesregierung geplante Krankenhausreform, die zu einem völlig inakzeptablen Kahlschlag bei den Klinikstandorten und zu massiven Einschnitten beim Leistungsspektrum führen würde, zu stoppen, grundlegend zu überarbeiten und so umzusetzen, dass die Versorgung der Bevölkerung auch in ländlichen Gebieten ausreichend sichergestellt wird.
  2. Vor einer großen, strukturellen Reform, zuerst ein Soforthilfeprogramm für unsere Krankenhäuser aufzusetzen, um diese kurzfristig finanziell zu stabilisieren, in dem man Kostensteigerungen (Inflation und Energie) auffängt und die Finanzierungslücke bei den Betriebskosten (vor allem auch bei den Personalkosten) umgehend schließt. Hier gilt es dringend entgegen zu wirken, da ansonsten Personalabbau, Bettensperrungen und evtl. sogar Schließungen von Abteilungen oder kompletten Krankenhausstandorten bereits vor Umsetzung der geplanten Reform unausweichlich werden.
  3. Die Coronahilfen für Kliniken, die am 30.06.2022 ausgelaufen sind, sofort zu reaktivieren und zwar rückwirkend zum 01.07.2022. Denn seit Mitte des Jahres 2022 gibt es vom Bund keinen einzigen Euro mehr, um den Mehraufwand für Hygiene, Isolierung und Behandlung zu refinanzieren. Dies führt aktuell dazu, dass Kliniken nach drei Jahren Pandemie längst wirtschaftlich und personell in komplette Schieflage geraten sind.
  4. Die überzogenen Anforderungen an die Notfallversorgung durch Verordnungen des gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) für kleine Krankenhäuser abzuändern, da selbst anerkannte Sicherstellungskrankenhäuser diese nicht erfüllen können.